Das 15. Chinesisch-Deutsche Verfassungsrechtsforum: Ein Jubiläum des Dialogs und der Gleichheit

Peking, den 6. September.

Am 6. September 2025 fand im Swissôtel Beijing das 15. Chinesisch-Deutsche Verfassungsrechtsforum statt – ein bedeutendes Jubiläum, das nicht nur die erfolgreiche Tradition dieses Dialogs feierte, sondern auch tiefere Einblicke in die vielschichtige Bedeutung des Gleichheitsrechts in beiden Ländern bot. Organisiert vom Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaft (CDIR) der China University of Political Science and Law (CUPL) und der Friedrich-Ebert-Stiftung, versammelte das Forum Verfassungsrechtler und Experten aus China und Deutschland, die in intensiven Diskussionen die theoretischen und praktischen Aspekte des Gleichheitsgrundsatzes erörterten.

Das Gruppenfoto zu Beginn des Forum (Bild links) kollidierte zeitlich mit der universitären CDIR-Eröffnungszeremonie auf dem Campus. Einige CDIR-Vertreter kamen nach. Das Tagungsband (Bild rechts) fasst 14 Teilnehmerbeiträge zusammen .

Teilnehmer und institutionelle Bedeutung

Das Forum brachte eine beeindruckende Runde von Verfassungsrechtsexpertinnen und -experten aus beiden Ländern zusammen, darunter die diesjährigen deutschen Rechtspraktiker/innen und Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Reinhard Gaier, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts, der das Forum seit der Gründung als Schirmherr begleitet hat, sowie Frau Babette Pohl, Richterin am Bundesgerichtshof, und Prof. Dr. Lars Brocker, Präsident des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz, der sich zum diesjährigen Forum als enthusiastischer Nachfolger von Herrn Prof. Gaier vorstellen konnte. Dazu kamen neben den Organisatoren Sergio Grassi (Pekinger Büroleiter, Friedrich-Ebert-Stiftung) und Prof. XIE Libin (CDIR-Direktor) dutzende chinesische Verfassungsrechstexperten – neben chinesischen universitären Hochschullehrern befanden sich auch zuständige Mitarbeiter des chinesischen Legislativkomitees unter den Teilnehmern und Teilnehmerinnen. Doch nicht nur die Experten prägten den Dialog: Ausgewählte CDIR-Studierende aus beiden Ländern, darunter deutsche Austauschstudierende und chinesische Doktoranden nahmen an dem Forum teil und nutzten die Pausenzeiten um mit den anderen Teilnehmern in den Austausch zu kommen.

Beim Verfassungsrechtsdialog in Peking das letzte Mal in Aktion: Herr Prof. Reinhard Gaier stellt in seinem Vortrag die deutsche Rechtslage zu Gleichheit und Diskrimierungsschutz von Menschen mit Behinderungen dar.

Der Dialog zwischen den beiden Rechtskulturen stellt eine wichtige Brücke dar, um zentrale verfassungsrechtliche Fragestellungen zu erörtern und zu klären. Das diesjährige Forum verdeutlichte einmal mehr, dass die Anwendung des Gleichheitsrechts nicht nur von der jeweiligen verfassungsrechtlichen Tradition abhängt, sondern auch von den gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten, in denen es angewendet wird. Zum Abschluss des Forums wurde Herr Prof. Gaier, der in diesem Jahr seine Schirmherrschaft abgab, gebührend gewürdigt (dazu mehr zum Ende des Artikels) .

Inhalt und Ablauf: Eine differenzierte Betrachtung des Gleichheitsgrundsatzes

Das Forum war in drei thematische Sitzungen unterteilt, die sich mit verschiedenen Schwerpunktfeldern des Gleichheitsrechts beschäftigten und dabei zahlreiche neue Denkanstöße gaben. Das Forum wurde durchgängig von Simultandolmetschern begleitet. Erstaunlich viele chinesisch -und deutschsprachige, bilinguale, Teilnehmer waren darauf nicht angewiesen.

Das Forum bot nach allen Vorträgen Spielraum für Beiträge und Fragen der Teilnehmer. Die Simultandolmetscher für das Sprachpaar Deutsch-Chinesisch (Bild Mitte: Dolmetscherkabine rechts zu sehen) waren während des gesamten Tages ununterbrochen im Einsatz.

Die erste Sitzung fokussierte sich auf den allgemeinen Gleichheitssatz. Prof. Dr. Lars Brocker präsentierte die deutsche Perspektive zu Artikel 3 des Grundgesetzes, während Prof. ZHANG Lühao von der CUPL die liberale Auffassung von Gleichheit kritisch hinterfragte. Diese eingehende Auseinandersetzung wurde durch eine lebhafte Diskussion zwischen den Teilnehmenden ergänzt, bei der zahlreiche chinesische Kollegen gezielte Fragen an die deutschen Experten stellten. Dabei zeigten viele chinesische Kollegen ein bemerkenswertes Detailwissen und Verständnis für das deutsche Rechtssystem und die deutschen Gerichtsentscheidungen.

In der zweiten Sitzung, die sich mit der Gleichstellung der Geschlechter befasste, wurden nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die praktischen Herausforderungen der Geschlechtergerechtigkeit thematisiert. Richterin Pohl beleuchtete die Bedeutung des Art. 3 Abs. 2 GG und erläuterte die Prüfmethoden, die im deutschen Recht zur Anwendung kommen. Besonders hervorzuheben war die Präsentation eines chinesischen Kollegen, der sich mit der Diskrepanz zwischen der Familie und den Geschlechtergleichheiten im chinesischen Grundgesetz auseinandersetzte. Dieser Vortrag bot interessante Anknüpfungspunkte, um die verschiedenen verfassungsrechtlichen Sichtweisen zu vergleichen und einen breiteren Dialog über die Vereinbarkeit von Familienrechten und Geschlechtergerechtigkeit zu führen.

Die dritte Sitzung, die den besonderen Gleichheitsrechten gewidmet war, befasste sich intensiv mit dem Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderungen. Prof. Dr. Reinhard Gaier lieferte eine prägnante Analyse der deutschen verfassungsrechtlichen Perspektive, während Assoc. Prof. Zhang Jin von der CUPL den chinesischen Ansatz zur Verhinderung von Diskriminierung bei Menschen mit Behinderungen erläuterte. Der dort dargestellte Diskurs entfachte erneut neue Debatten unter den chinesischen Teilnehmern, die sich mit der konkreten Umsetzung dieser Rechte in der chinesischen Verfassungsinterpretation auseinandersetzten. Es wurden wiederholt Überschneidungen zwischen den deutschen und chinesischen Rechtsdiskursen deutlich, die zu intensiven, kritischen Diskussionen führten. Auch die abschließende Panel-Diskussion, bei denen hauptsächlich Beiträge der deutschen Experten im Mittelpunkt stehen sollten, untermauerte das gegenseitige Interesse, die gezogenen Rückschlüsse und das große Bestreben den Dialog auch in Zukunft weiterzuführen.

Fotos ausgewählter Vorträge: Frau Babette Pohl, BGH-Richterin, trug zum Thema „Gleichheit zwischen den Geschlechtern“ vor (Bild links), Prof. ZHANG Jin stellte aktuelle Themen zur chinesischen Verfassung vor (Bild mitte-links); beim Abschlusspodium wurden die deutschen Experten um Einschätzungen zu unterschiedlichen Fragestellungen gebeten (Bild mitte-rechts), zum inhaltlichen Abschluss der Tagung zum Gleichheitssatz kam Prof. JIAO Hongchang von der CUPL zu Wort (Bild rechts).

Nach einer zügigen inhaltlichen Zusammenfassung aller Themenschwerpunkte des Tages durch den CDIR-Vizedirektor Balduin Benesch ging es zum weiteren Höhepunkt des Forums: der feierlichen Abschlussrede von Prof. JIAO Hongchang, der als einer der angesehensten chinesischen Verfassungsrechtler der vergangenen Jahrzehnte gilt und mit seinen Worten die tiefere Bedeutung des Gleichheitsrechts aus philosophischer und verfassungsrechtlicher Perspektive untermauerte. Prof. Jiao betonte, dass das Prinzip der Gleichheit nicht nur ein rechtliches Gebot sei, sondern eine fundamentale moralische Verpflichtung für den Staat, die Menschenwürde zu schützen und Ungleichbehandlungen zu verhindern.

Prof. Jiao sprach sich zudem für eine breitere, interkulturelle Betrachtung des Gleichheitsprinzips aus, da es in beiden Ländern unterschiedliche historische und kulturelle Prägungen gebe. Während die deutsche Verfassungsrechtsprechung auf einem langen Prozess der Liberalisierung und Anerkennung individueller Rechte beruhe, sei die chinesische Verfassung stärker auf die kollektive Einheit und die sozialen Strukturen ausgerichtet. Dennoch seien beide Perspektiven in ihrem jeweiligen Kontext zu schätzen, und es gebe zahlreiche Schnittstellen, die weiter erforscht werden sollten. Er hob hervor, dass das Forum erneut Gelegenheit bot, die verschiedenen Blickwinkel zu integrieren und zu verstehen, wie Gleichheit in verschiedenen Rechtsordnungen interpretiert und angewendet wird. Besonders dankbar zeigte sich Prof. Jiao für die respektvolle und konstruktive Diskussion, die das Forum ermöglicht habe und betonte, dass der Dialog weiterhin eine essentielle Rolle in der Entwicklung des internationalen Verfassungsrechts spielen müsse.

Zuletzt zollte er auch Herrn Prof. Gaier und dessen Ehefrau, Frau Esther Koch-Gehret, die stets an seiner Seite weilte, großen Respekt und dankte ihnen für ihren unschätzbaren Beitrag zur deutsch-chinesischen Verfassungsrechtsdiskussion. „Sein Gesicht ist immer von einem Lächeln erfüllt, wie das eines gütigen Weisen“, so Prof. Jiao (übersetzt aus dem Chinesischen), „und ich weiß, dass dies auch mit der ständigen Begleitung von Frau Gaier zusammenhängt.“

Abschluss einer Ära und Übergabe in neue Hände: Herr Prof. Reinhard Gaier gibt seine Schirmherrschaft ab

Der feierliche Abschluss der Veranstaltung stand ganz im Zeichen des Abschieds und des Neuanfangs. In bewegenden Worten würdigten Herr Grassi von der Friedrich-Ebert-Stiftung und Prof. Xie Libin vom CDIR, die überragenden Verdienste von Prof. Dr. Reinhard Gaier.

15 Jahre lang war er der intellektuelle und persönliche Anker des Dialogs. Seine Zuverlässigkeit, seine tiefe kulturelle Kompetenz, sein fachliches Engagement und seine stets zugängliche Art wurden als unschätzbar für den Erfolg und den einzigartigen Geist dieses Forums hervorgehoben. Er habe nicht nur Wissen vermittelt, sondern Brücken gebaut und zusammen mit dem FES und dem CDIR eine echte deutsch-chinesische Verfassungsrechts-Community geformt.

Herr Prof. Reinhard Gaier, Schirmherr des Chinesisch-deutschen Verfassungsrechtsforums im gemeinsamen Dialog (Bilder links) mit den beiden Organisatoren Prof. XIE Libin (CDIR-Direktor) und Sergio Grassi (Direktor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Peking) seit 2010 (Bild links) bis 2025 (Bild mitte-links) in Peking , erhielt er zum Abschluss seiner Leitung nicht nur gebührende Worte und Beifall, sondern auch die zeitzeugenden Bilder als fassbares Abschiedsgeschenk von Herrn Grassi übergeben.

In einer symbolträchtigen Geste übergab Prof. Gaier nach eineinhalb Jahrzehnten die Schirmherrschaft über den Dialog an Herrn Prof. Dr. Lars Brocker. Mit dieser Übergabe geht das Vermächtnis eines offenen, respektvollen und tiefgründigen wissenschaftlichen Austauschs in die besten Hände über. Prof. Brocker hat diese Aufgabe bereits mit großer Überzeugung angenommen und steht damit für die Kontinuität und Zukunft dieses einzigartigen Forums. In seiner Abschiedsrede würdigte Prof. Gaier nicht nur die nicht-messbare Bedeutung des Forums, sondern auch die kontinuierliche, respektvolle und tiefgründige Zusammenarbeit zwischen den deutschen und chinesischen Verfassungsrechtlerinnen und -rechtlern. Seinen größten Wunsch für die Zukunft des Forums nannte er ganz einfach: den Fortbestand.

Neben seiner Betreuung des Verfassungsrechtsforums ist auch sein weiteres Engagement hervorzuheben, das er nicht nur in der Vergangenheit als Kurzzeitdozent beim CDIR, sondern auch aktuell in anderen Institutionen in China und international leistet.

Fazit: Gemeinsam an der Klärung von „Wesentlich Gleich“ und „Wesentlich Ungleich“

Das 15. Chinesisch-Deutsche Verfassungsrechtsforum war ein voller Erfolg und ein weiterer Schritt im Dialog über das Verfassungsrecht zwischen China und Deutschland. Durch die lebendigen Diskussionen, in denen sowohl theoretische als auch praktische Aspekte des Gleichheitsprinzips intensiv erörtert wurden, hat das Forum erneut gezeigt, wie universell dieses Grundrecht ist – und zugleich, wie kontextabhängig seine Anwendung sein kann.

Besonders beeindruckend war, wie das Forum neue Diskussionen unter den chinesischen Teilnehmern entfachte, die sich vertieft mit der Verfassungsrechtsinterpretation in ihrem eigenen Land auseinandersetzten.

Teilnehmer und institutionelle Bedeutung

Mit diesem neuen Verständnis wird der Dialog weitergeführt, und das Forum bleibt auch in den kommenden Jahren ein wichtiger Ort für den Austausch und die Weiterentwicklung von Grundrechten auf internationaler Ebene. Hervorzuheben ist insbesondere, wie die eingeladenen deutschen Rechtspraktiker nicht nur zur wissenschaftlichen Diskussion beitrugen, sondern einen Rahmen schufen, in dem die vielschichtigen Fragen des Gleichheitsrechts in Peking auf praktischer Ebene diskutiert werden konnten – etwas, das aufgrund des konstitutionellen Unterschieds in der Verfassungsrechtspraxis in China sonst weniger gemacht wird.

Das Verfassungsrechtsforum war ein bedeutender Schritt in der Förderung des interdisziplinären Dialogs und der praktischen Auseinandersetzung mit zentralen rechtlichen Fragestellungen.

Die Tagungsmaterialien wurden bilingual angefertigt: Das chinesische Programm (links) und die deutschsprachige Teilnehmerliste (rechts) des diesjährigen Verfassungsrechtsforums.